Samstag, 27. April 2013

"In Deutschland müssen Kinder zur Schule gehen - ob sie wollen oder nicht."

Das Schicksal Schule hat einen Anfang und ein Ende... und eine lange Zeit dazwischen...
 
- Ein Drama in drei Akten -



...das Echo vieler letzter Tage vor Schulanfang klang  in meinen Ohren:
einen Buchladen oder eine Bücherei zu betreten, als wäre es ein Süßwarenladen, 
liebevolle Blicke auf all die Bücher werfend, die ich gerne lesen würde,
 wissend,  dass stattdessen die Schule all meine Zeit in Anspruch nehmen würde.
- Sarah Shapiro -
  

1. Akt
Eine Geschichte vom Anfang
 - Gesprächsfragmente -

Die Freundin meiner 6jährigen Tochter, die gerade die erste Klasse besucht, fragt mich: "Franzi, bist Du früher gern in der Schule gewesen?"
Ich überlege. Und entscheide mich für die Wahrheit: "Manchmal. Aber meistens nicht."
Sie: "Ich auch nicht. Und heute war ein Tag, an dem ich Schule nicht mochte."

Später sagt sie, sie wäre gern meine Tochter, dann bräuchte sie nicht zur Schule gehen und könnte den ganzen Tag spielen. Meine Tochter tröstet sie: "Ich muss ja auch bald in die Schule: vor meinem nächsten Geburtstag..."

Etwas später komme ich zu einer Diskussion hinzu. Meine Tochter sagt gerade: "...aber man muss zur Schule gehen, damit man was lernt. Lesen und Schreiben lernt man doch nur dort. Sonst lernt man doch nix."
Ich: "Ich kenne jemanden, der nie zur Schule gegangen ist..."
Tochter: "Der kann ja dann gar nichts."
Ich: "Ich weiß, dass er ziemlich viel kann... Stimmt das denn, dass man Lesen nur in der Schule lernt?"
Tochter: "Aber ja!"
Ich: "Und was ist mit Dir?"
Tochter: "Ich habe es mir selbst beigebracht." 

Freundin (geknickt): "In Deutschland muss man zur Schule gehen, ob man will oder nicht... Warum muss ich in die Schule gehen? Ich will nicht in die Schule gehen."

Später, als ich auf die Idee komme, dies aufzuschreiben, frage ich beide, um mich an den Dialog zu erinnern.
Da fragt die Freundin wieder: "Warum muss ich denn zur Schule gehen?"
Ich: "Es ist, wie Du gesagt hast. In Deutschland muss man zur Schule gehen, ob man will oder nicht... stimmt das denn?"
Tochter: "Ja! Das hast Du doch gesagt!"
Sprach's - und ging mit ihrer Freundin... Bücher lesen.

Stimmt, ich habe es ihr mal gesagt. Als sie mir einst mal sagte, sie wolle nicht zur Schule gehen, sie wolle nicht, dass ihr eine Lehrerin sagt, was sie tun soll. Sie wolle lernen, was und wie sie will! Da sagte ich: "In Deutschland müssen Kinder in die Schule gehen - ob sie wollen oder nicht."

Meine Tochter weiß, dass es nicht wahr ist und sagt dennoch, man müsse zur Schule gehen um lesen zu lernen. Warum? Weil sie uns glauben. Weil sie uns vertrauen. Weil sie tun müssen, was wir wollen und vorschreiben. Weil Kinder nunmal keine Wahl haben, oder? Was bleibt ihnen anderes übrig, als unsere Glaubenssätze zu wiederholen - obwohl sie es besser wissen! 

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." 
Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1


"Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit..."
Grundgesetz Artikel 2, Absatz 1


"Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. ..."
Grundgesetz Artikel 2, Absatz 2  (Teil 1)

Die Freiheit der Person ist unverletzlich?

"... In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."
Grundgesetz Artikel 2, Absatz 2 (Teil 2)

Ach so! So ist das: Die Grundrechte sollen zwar bedingungslos und unbedingt für jeden Menschen gelten - aber unter bestimmten Umständen doch nicht. Da kann man sich ja jederzeit ein Gesetz ausdenken... und man hat sich einige ausgedacht, hier zwei Beispiele (ich glaube, es gibt insgesamt 16 davon)...


Hessisches Schulgesetz: § 68 Schulzwang
Wer seiner Schulpflicht nicht nachkommt, kann der Schule zwangsweise zugeführt werden, wenn andere pädagogische Mittel, insbesondere persönliche Beratung, Hinweise an die Eltern, die Kinder- und Jugendhilfe, den Ausbildenden und den Arbeitgeber oder gemeinsame Gespräche der Beteiligten erfolglos geblieben sind. Die Entscheidung über die zwangsweise Zuführung trifft die Schulleiterin oder der Schulleiter im Einvernehmen mit der Schulaufsichtsbehörde. Bei der Zuführung kann die Hilfe der für den Wohnsitz, für den gewöhnlichen Aufenthalt oder für den Beschäftigungsort der oder des Schulpflichtigen örtlich zuständigen Verwaltungsbehörde (Gemeindevorstand) in Anspruch genommen werden.

Schulgesetz NRW: § 41 Verantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht 
Bleibt die pädagogische Einwirkung erfolglos, können die Schulpflichtigen auf Ersuchen der Schule oder der Schulaufsichtsbehörde von der für den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Ordnungsbehörde der Schule zwangsweise gemäß §§ 66 bis 75 Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW zugeführt werden. 

Freiheit...

Körperliche Unversehrtheit...

Würde...

Das Grundgesetz hat eine Einleitung, eine sogenannte "Präambel", darin steht:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.

Sind meine Tochter und ihre Freundin (und alle anderen, denen es so geht wie ihnen) denn auch Personen? Menschen?

"In Deutschland muss man zur Schule gehen, 
ob man will oder nicht..."

3 Kommentare:

  1. teresa eigenmacht28. April 2013 um 11:42

    @ Anonym

    Nun sollten meiner Meinung nach diejenigen, die den Willen und den Mut dazu haben, auf eine ihnen gemäße Weise dafür einstehen, dass die Grundrechte ebenso in der Lebensspanne zwischen Geburt und Volljährigkeit eines Menschen uneingeschränkt ihre Gültigkeit haben.

    Hierzu wäre es in meinem Verständnis zunächst erforderlich, den § 1631 Absatz (1) BGB von genau den Inhalten zu befreien, die im Widerspruch zu den Grundrechten des Menschen (folglich auch denen des „Kindes“) stehen.

    Originalwortlaut § 1631 Abs.1 (BGB)

    (1) "Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen."

    …das könnte dann z.B. in Anlehnung an das Bestehende so aussehen:

    "Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, den jungen Menschen - so lange dies erforderlich ist - zu pflegen bzw. ihn in der Selbstfürsorge zu unterstützen, seine Menschenrechte jederzeit zu wahren und ihn vor Verletzung derselben durch Dritte konsequent zu schützen, ihn vor jeglicher Gefährdung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit zu bewahren und bei der Bestimmung des Aufenthalts seine Wünsche und Bedürfnisse gleichberechtigt in eine Entscheidung mit einzubeziehen."

    Sicher nicht perfekt - aber es wäre durch den Wegfall von "Erziehung" eine Entwicklung in Richtung der vollständigen juristischen Anerkennung des "Menschen-Kinds" als Rechtssubjekt.

    Zumal es dann nicht mehr möglich wäre, die "natürliche Person", deren Rechtsfähigkeit gemäß § 1 BGB "mit der Vollendung der Geburt" beginnt, um das 6. Lebensjahr herum durch Zusendung eines "Einberufungsbescheids" und die "Feststellung der Schulfähigkeit" durch einen Amtsarzt in die staatliche Schul-Pflicht zu nehmen, die diesen Menschen dann - ob er nun will oder nicht - für 10 lange Jahre in den (für Menschen) juristisch unzulässigen Objekt-Status katapultiert.

    Dabei gibt es schon längst die sogenannte „Objektformel“ des Bundesverfassungsgerichts:

    >>Der Einzelne darf nicht zum bloßen Objekt gemacht werden

    Nach der „Objektformel“ des Bundesverfassungsgerichtes ergibt sich aus der Menschenwürde der Anspruch eines jeden Menschen, in allen staatlichen Verfahren stets als Subjekt und nie als bloßes Objekt behandelt zu werden; der Einzelne hat also ein Mitwirkungsrecht: er muss jedes staatliche Verhalten, das ihn betrifft, selber beeinflussen können.

    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde <<

    Was das nun mit der Schulpflicht zu tun hat?

    Von Prof. Kurt Singer (1929 – 2009) stammt die klare Feststellung:

    „Die Würde des Schülers ist antastbar.“


    Dem stimme ich zu, möchte das Ganze allerdings weiter fassen, indem ich behaupte:

    „Die Würde eines jeden Zöglings (zu Erziehenden) ist antastbar.“

    Und das heißt nichts anderes, als dass jeder, der sich allein aufgrund eines staatlichen „Erziehungsauftrags“ für „erziehungsberechtigt“ hält (Eltern, Pflegeeltern, Lehrer, Erzieher, Jugendamt-Mitarbeiter) und dieses Recht zu Lasten eines jungen Menschen in Anspruch nimmt und auslebt, die Menschenwürde des Objekts seiner Erziehung in unzulässiger Weise verletzt.

    Und da spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich hierbei um Eltern, andere Erziehungsberechtigte im Sinne der elterlichen Sorge oder um Lehrer handelt, die als Handlungsbevollmächtigte des Staates und seiner ausführende Organe ihrer „Pflicht“ nachkommen, den „gesellschaftlichen Erziehungsauftrag am Kinde“ zu erfüllen.
    - Ende erster Teil -

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  2. teresa eigenmacht28. April 2013 um 12:03

    ...Denn für ein derart „erzogenes Kind“ macht es nicht den geringsten Unterschied, ob letztendlich der Staat oder das Elternhaus „die Lufthoheit über den Kinderbetten“ erlangt. Hoheit ist Hoheit - und sobald hier einer von beiden als Sieger aus der Sache hervorgehen will, setzt dies einen Kampf voraus (was ja alleine die Wahl der militärisch assoziierten Ausdrucksweise schon verrät), der aber lediglich den Machtanspruch über ein Terrain zum Gegenstand (Objekt) hat.

    Auch verbinde ich persönlich mit dem symbolischen Anspruch auf die "Lufthoheit" über ein Gebiet mit einer Flächenausdehnung von im Einzelfall ca. 2 Quadratmetern - der Grundfläche eines Kinderbettes - eine weitere menschenverachtende Komponente. Es geht hier um einen Ort, an dem zumeist nur das schlafende und somit schweigende und wehrlose Kind sich aufhält und seinerzeit sicher nicht zufällig von Olaf Scholz gewählt wurde.
    Die Staatsmacht wacht über den Kindern - bei Tag und bei Nacht und schwebt dabei noch über den Eltern...

    Ganz schlimm, ja geradezu bedrohlich ( weil hierbei kein einziges Schlupfloch mehr bleibt), wird es für den jungen Menschen aber spätestens dann, wenn Schule und Elternhaus sich im Rahmen einer immer häufiger beschworenen „Erziehungspartnerschaft“ gemeinsam gegen den Schüler verbünden. Als „positives Element der Elternarbeit“ und angeblich zum ausschließlichen Nutzen FÜR das Kind getarnt, verbirgt sich dahinter aber Schreckliches:
    Über den Kopf eines im wahrsten Wortsinne „eigen-willigen“ Schülers hinweg, werden unter der Regie des Lehrers und in Absprache mit den Eltern Erziehungsmethoden und - sollten die nicht greifen - ausgefeilte Sanktionen verabredet. Beide Erziehungsinstanzen tragen auf diese Weise engagiert sowohl zur Sicherung der eigenen Autorität als auch zu der, des jeweils anderen bei. Und so entsteht eine klassische Win-Win-Situation für diese Erwachsenen und sie merken meist nicht einmal, dass jedwede Durchsetzung von Macht-Ansprüchen gegenüber all den jungen Menschen doch nur der unbewussten Abwehr ihrer ureigenen Angst dient. Nämlich der Angst, selbst wieder einmal den willkürlichen Entscheidungen eines Mächtigeren, so wie in der eigenen Kindheit und Jugend, ausgeliefert zu sein.

    Demnach wird es wichtig sein, nun dafür Sorge zu tragen, dass auf keinen Fall Eltern oder Dritte einfach nur das Machtvakuum füllen werden, das der Staat hinterlässt, wenn es zu einem bloßen Wegfall der Schulpflicht in Deutschland kommt. D.h., falls er die „Lufthoheit über den Schülerbetten“ abzugeben bereit ist, ohne zuvor grundlegende Gesetzesänderungen im Bereich der Personensorge vorgenommen zu haben.

    Der Schüler (auch beim „homeschooling“ behält der junge Mensch ja diesen Status) käme nicht nur vom Regen in die Traufe, solange das Recht sich frei zu bilden keine gesetzliche Verankerung erfährt; es bestünde sogar die Möglichkeit der gesellschaftlichen Abkopplung von Töchtern und Söhnen durch machtbesessene Eltern.
    Ich persönlich halte das staatliche Schulsystem für das geringere Übel, ist doch zumindest die Möglichkeit des Heraustretens in die Welt der anderen garantiert und die Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs aufgrund der sozialen Konrolle zumindest sehr viel eingeschränkter, als das in ungesunden Familiensystemen der Fall ist.

    Wohlgemerkt:

    Ich halte die staatliche Schulpflicht hierbei nur für das geringere Übel!

    Und die wiederum fällt - davon bin ich überzeugt - von ganz alleine mit dem Tag, an dem eine konsequente juristische Anwendung der Grundrechte für jeden Menschen Wirklichkeit wird.

    - Ende -

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Gedanken einer "Schulhasserin"

"Als ich noch zur Schule ging, wurde ich oft gefragt, ob es mir gefiele. Manchmal sagte ich ja, manchmal nein. Allerdings dachte ich...